Digital oder analog – wo bitte liegt die Zukunft im Verkauf?

„Natürlich in der gekonnten Kombination von beidem“, schütteln die WIFI-Lehrgangsleiter Thomas Pfummerl („Diplomverkäufer im Außendienst” sowie „Diplomverkäufer im Handel“) und Reinhard Neudorfer („Digitalmarketing und eCommerce Professional“) erstaunt die Köpfe. Ist die Diskussion damit beendet, bevor sie begonnen hat? Aber nein, der „Teufel“ liegt bekanntlich im Detail – und schon gehen die Ansichten der beiden Experten auseinander …

Produktsicherheit bei analogem Verkauf

„Ich habe Schuhe aus dem Internet zu Hause. Sie waren schweineteuer, passen aber nicht. Hätte ich sie zuvor in einem Geschäft probiert und mich beraten lassen, ich hätte sie sicher nicht gekauft. Bei Angeboten im Internet kannst nicht überprüfen, wie sich das Produkt anfühlt. Auch die Größenproportionen sind selten einfach zu erkennen, wenn es sich zum Beispiel um Textilien oder auch, sagen wir, um Besteck handelt. Wie liegen ein Löffel, eine Gabel in der Hand …“ – Thomas Pfummerl eröffnet die Diskussion, was den Kunden, die Kundin eher zufriedenstellt: analoger oder digitaler Verkauf.

Aufwändige Retouren

Jetzt fragt sich vermutlich jeder, weshalb Thomas Pfummerl die neuen Schuhe nicht zurückgeschickt hat? Aber dieser hoffte, sie würden sich noch „eintragen“ und verzichtete daher auf die, wie er sagt, nervige Retournierung des Pakets: Scheine ausdrucken, Originalpaket wieder verschließen, zur Post bringen, vielleicht sogar Rücksendegebühr bezahlen, kontrollieren, ob der bereits überwiesene Betrag rückgebucht wurde … Inzwischen verging die Zeit und Zurückschicken war keine Option mehr.

Digitaler Verkauf ist Gegenwart

Reinhard Neudorfer sieht den hohen Aufwand bei Retouren für den Konsumenten, die Konsumentin nicht unähnlich. Dennoch ist es ein Fakt, dass aktuell rund die Hälfte aller bestellten Kleidungsstücke zurückgeht. Retournieren ist zum Mainstream geworden wie Umtauschen nach Weihnachten. „Eine gut funktionierende Retourenabwicklung ist daher bereits ein Verkaufsargument gegenüber dem Mitbewerb“, weiß er. „Für eCommerce sind sie und die notwendigen physischen und finanziellen Prozesse allerdings eine echte Herausforderung, die niemals unterschätzt werden darf!“ Das Argument von Thomas Pfummerl, dass man Online-Ware nicht an- bzw. ausprobieren kann, verliert dadurch aber an Gewicht.

Wer informiert sich nicht im Internet?

Reinhard Neudorfer ist eindeutig in seinem Element, wenn er sagt: „Mittlerweile werden über 95 Prozent aller Kaufentscheidungen nach einer vorgelagerten Onlinerecherche durchgeführt.“ (2010 waren es bei den Privatkunden noch 59 Prozent). Für den Verkauf heißt das: „Egal ob Online- oder Offline-Kauf, digitale Abstinenz wird durch Umsatzrückgang oder gar Umsatzeinbruch bestraft. Ein funktionierender Omnichannel-Verkauf in alle Prozessrichtungen darf nicht unterschätzt werden“, plädiert der Digitalexperte, sich mit Know-how für den Bereich möglichst schnell fit zu machen. „Vor allem im B2B-Bereich wird ein Verkäufer, eine Verkäuferin ohne digitale Instrumente nicht mehr bestehen können. Da ist der eCommerce-Hebel riesig, da es im Regelfall auch um größere Volumina geht.“

Mehr Vertrauen in Offline-Beratung

Dem widerspricht Thomas Pfummerl auch gar nicht. Die Kundinnen und Kunden heutzutage seien eindeutig gut informiert, bevor sie analog einkaufen gehen. Ein gut geschulter Verkäufer, eine ausgebildete Verkäuferin verfüge trotzdem über spezielles Wissen, das über diese Recherche hinausgeht, meint er: „Vor allem bei Käufen, die mit einem Risiko verbunden sind – unter anderem bei High-Involvement-Produkten wie Finanzen, Gebäuden oder Steuersachen –, kann man einem Menschen aus Fleisch und Blut meist mehr vertrauen als jedem Online-Bewertungssystem.“ Sterne könne schließlich jeder vergeben, auch der Anbieter selbst. Einem Verkäufer, einer Verkäuferin dagegen könne man in die Augen schauen.

Spricht etwas dagegen?

„Wenn das Risiko eines Fehlkaufs groß ist, schiebt man die Entscheidung auch oft vor sich her“, erläutert der Profiverkäufer Thomas Pfummerl weiter und erklärt: „Sie haben zum Beispiel das Geld für eine Eigentumswohnung zusammen, wohnen aber immer noch in Miete. Ein guter Verkäufer, eine geschulte Verkauferin hilft Ihnen mit geschickten Reflexionsfragen, leicht und ohne Druck eine Wahl und damit eine Kaufentscheidung zu treffen.“

Reinhard Neudorfer hält dagegen: „Für Teilschritte können durchaus auch digitale Instrumente eingesetzt werden. Möchte ich ein Haus oder komplexe B2B-Produkte verkaufen, so werden Visitor-Analytics-Produkte (Auswertung und Authentifizierung von Interessenten auf Websites) auch in Österreich zunehmend eingesetzt.“

Einkaufserlebnis …

Dass Menschen auch 2020 analog einkaufen gehen werden, ist sowieso unbestritten – und damit ist nicht nur der Lebensmittelhandel gemeint. Aber warum tun sie das? Die Leute wollen etwas erleben, gemeinsam unter Menschen sein, Spaß am Einkaufen haben. Und vor allem: „Sie wollen die Produkte sofort mitnehmen können“, argumentiert Thomas Pfummerl. „Dabei berücksichtigen wir allerdings nicht die Möglichkeit, rund um die Uhr einkaufen zu können. Amazon schafft es in mehreren Ballungszentren außerdem, ebenso am selben Tag zuzustellen. Auch die Drohnen-Thematik (Sofortzustellung) reift weiter“, hält Reinhard Neudorfer dagegen. Und hier bei uns in Österreich?

Wertschöpfung geht ins Ausland

„Wir hinken ordentlich hinterher“, diagnostiziert der eCommerce-Profi. „Man sieht es ja: Die Kunden sind eindeutig da, bedienen sich aber bei internationalen Anbietern. Damit gehen die Gewinne außer Landes und die regionale Wirtschaft samt dem Arbeitsmarkt haben den Nachteil. Die Digitalisierung wächst aber weiter und ist nicht wegzudiskutieren. Ich habe leider keine Argumente dagegen, dass die Wertschöpfung ins Ausland geht. Es war absehbar, dass Amazon (Shop, Prime, Music …), Google (Ads, Youtube, Android, Analytics …), Facebook & Co einen massiven und mehrfachen Impact auf alle Unternehmen haben werden. Dagegen sind wir ein Entwicklungsland.“

Mehr Interesse bitte!

Für den Verkauf gäbe es allerdings trotzdem keinen rationalen Grund, nichts zu tun, sagt er. Digitale Instrumente im Verkauf seien einfach einzusetzen und oftmals sogar kostenfrei:  „Aus den USA oder von nordeuropäischen Ländern wissen wir, wie der Verkauf mit digitalen Mitteln geht und dass er funktioniert. Wir müssen nichts mehr ausprobieren, wir können einsetzen“, plädiert Reinhard Neudorfer für mehr Interesse und Engagement, auch vonseiten kleinerer und mittlerer Unternehmen.  

Zusatzverkäufe funktionieren nur offline?

Die hier aufgeworfene Frage dreht sich um das Thema: Kann das Internet auch einen latenten Bedarf erkennen oder kann das nur der geschulte Verkäufer, die ausgebildete Verkäuferin? „Schwierig“, meint Thomas Pfummerl. „Stellen Sie sich vor, da kommt ein Kunde mit einem 15 Jahre alten Toyota und will einen Sportwagen kaufen. Der Verkäufer, die Verkäuferin sieht sofort: Das alte Auto fällt durchs nächste Pickerl durch. Was kein Beratungstool im Internet erbringen kann, der Mensch aber sehr wohl, ist den latenten Bedarf des Kunden, der Kundin zu erkennen und ihn so zu beraten, dass der Kauf auch zu seinem Leben passt.“

Latenter Bedarf auch online erkennbar

„Das Internet kann definitiv auch einen latenten Bedarf erkennen und Vorschläge machen“, so Reinhard Neudorfer. „Google forscht seit über 15 Jahren in diesem Feld. Pattern Recognition und Predictive Analytics gibt es seit über zehn Jahren. Leider wird dies primär in den USA entwickelt.“ Das gelte übrigens auch für das Dilemma eines „Auswahlparadoxons“, was nichts anders bedeutet, als dass bei steigender Auswahl die Kauffreudigkeit sinkt: „Gute Anbieter treffen auf Basis von Verhaltensmustern eine präzise Vorselektion. Darüber hinaus werden – ebenso automatisiert – Zusatzkäufe forciert“, so das Argument von Reinhard Neudorfer.

Verkauf der Zukunft – digital oder analog?

Die beiden Herren schauen sich an, die Diskussion hat viele Facetten berührt. Wieder schütteln beide die Köpfe, diesmal leicht amüsiert über ihre gemeinsame Conclusio: „Analog und digital müssen Hand in Hand gehen, nur das garantiert den Erfolg des Verkaufs auch in der Zukunft. Es braucht fundiertes Know-how in Sachen eCommerce UND bestens ausgebildete Verkäuferinnen und Verkäufer vor Ort in den Geschäften.“ Und beides kann man sich am WIFI Steiermark aneignen, denn hier lehren Experten, die auch fruchtbaren Diskussionen keinesfalls aus dem Weg gehen und am Puls der Zeit sind.

Zwei hochkarätige WIFI-Lehrgangsleiter in freundschaftlicher Diskussion: Thomas Pfummerl und Reinhard Neudorfer.

Mag. Thomas Pfummerl (li.), Berater, Trainer, Coach und WIFI-Lehrgangsleiter für die Ausbildungen zum „Diplomverkäufer im Außendienst“ und zum „Diplomverkäufer im Handel“, unterrichtet auch am Campus02 als berufsbegleitender Lektor und hat einen hohen Anspruch als Trainer. Er nennt das „maximale Anwendungssicherheit“ und die wird in den WIFI-Lehrgängen ausgiebig geübt. Wenn es im Verkaufsgespräch dann darauf ankommt, kann der Lehrgangsabsolvent sicher und erfolgswirksam agieren.

Mag. Dr. Reinhard Neudorfer, MBA (re.), ist Betriebswirt und Absolvent einer postgradualen Digitalmarketing-Ausbildung an der Harvard Business School. Damit ist er ein anerkannter Experte im Bereich Digitalstrategien und dem zielgerichteten Einsatz von Digitalinstrumenten. Neudorfer ist Gerichtsgutachter, FH- und Universitätslektor – und Lehrgangsleiter am WIFI Steiermark im WIFI-Diplomlehrgang „Digitalmarketing und eCommerce Professional“ sowie im Lehrgang „Digital Sales Excellence“.

Um heute maximal erfolgreich zu sein, braucht es Kenntnisse aus beiden Bereichen des Verkaufs – analog und digital. Womit möchten Sie im heurigen Jahr zuerst durchstarten?

Fotos: WIFI Steiermark / Melbinger

Kommentar verfassen